„Wir brauchen Netzwerke zur Unterstützung von Beschäftigten aus Osteuropa!“
Projekt Arbeitnehmerfreizügigkeit in NRW fair gestalten
Das Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit in NRW fair gestalten“ ist Teil der Initiative „Faire Arbeit – Fairer Wettbewerb“ des Landes Nordrhein-Westfalen und bietet kostenlose Erstberatungen in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen an. Die Berater von Arbeit und Leben NRW arbeiten eng zusammen mit den Gewerkschaften sowie mit dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales in NRW. Bei einer Veranstaltung am 21. September 2016 im Generalkonsulat von Rumänien in Bonn berichteten die Projektbeteiligten über die aktuelle Lage und die Erfahrungen aus den ersten drei Jahren Beratungspraxis.
„Zwei Monate ohne Lohn“ oder „Rumänische Arbeiter beklagen Mietwucher für Schimmelbude“: Schlagzeilen dieser Art gehen in regelmäßigen Abständen durch die Medien. Sie machen die Spitze eines Eisbergs sichtbar, der in den letzten Jahren weitestgehen im Verborgenen angewachsen ist. Vielerorts haben sich schlechte Beschäftigungsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien etabliert. Einige Branchen fallen dabei besonders negativ auf. Der Grund: Viele Unternehmen nutzen bewusst die schwierige wirtschaftliche Lage in den Herkunftsländern und die geringen Sprach- und Rechtskenntnisse der Menschen aus. Die Folgen sind gravierend. Es entstehen menschenunwürdige und extrem prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Begriffe wie "moderne Sklaverei" sind da durchaus angebracht. Um Betroffene zu unterstützen hat Arbeit und Leben NRW 2013 das Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit in NRW fair gestalten“ ins Leben gerufen.
Dass dem Thema mehr öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, wünschte sich der Gastgeber Mihai Botorog, Generalkonsul von Rumänien. Insbesondere private Medien hätten hier Nachholbedarf. Zudem sei ein intensiverer Austausch von deutschen und rumänischen Behörden dringend notwendig. Denn die Zahl der Zugewanderten steigt weiter an, seit 2007 hat sich die Zuwanderung von rumänischen Staatsangehörigen fast verdreifacht.
„Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Grundrecht, das durch ‚Equal Pay‘ geschützt werden muss.“, forderte Dr. Sabine Graf, stellvertretende Vorsitzende des DGB NRW. Dass die Gewerkschaften den Mindestlohn erkämpft haben, sei dabei ein wichtiger Schritt. Seine Einhaltung müsse nun auch für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sichergestellt werden. Aber nicht nur materiell sei eine Gleichstellung unerlässlich. „Es ist genauso richtig und sinnvoll, die Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte auf die mobilen Beschäftigten auszuweiten. Damit wir eine echte Teilhabe am Arbeitsleben erreichen können.“ ergänzte Graf auch mit Blick auf die Reformpläne für Leiharbeit und Werkverträge.
Eine Branche die beim Thema Werkverträge und Scheinselbstständigkeit besonders häufig auffällt, ist die Bauwirtschaft. Die IG BAU arbeitet deshalb bereits lange mit dem Europäischen Verband der Wanderarbeiter zusammen und kann auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen. Über die Ausbeutungspraktiken und Lohndumping in der Branche berichtete Holger Vermeer, Regionalleiter IG BAU Rheinland. „Wir brauchen mehr Kontrollen in Betrieben, auf Baustellen und in Objekten. Ebenfalls benötigen wir eine Aufstockung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf mehr als 10 000 Leute.“, appellierte Vermeer an die Politik.
„Im Rahmen der Initiative werden wir auf vielfältige Weise aktiv, um gegen Missstände vorzugehen, Transparenz zu schaffen und zielgerichtet zu informieren. Besonders wichtig ist es uns hierbei Betroffene sowie Bürgerinnen und Bürger konkret und vor Ort zu unterstützen und zu beraten.“, berichtete Barbara Molitor über die Ansätze des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales in Nordrhein-Westfalen. „Das Beratungsangebot von Arbeit & Leben setzt genau hier an. Es leistet deshalb einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Landesziele.“, so Molitor weiter.
Dr. Alexandru Zidaru und Catalina Guia arbeiten in den Beratungsstellen, die das Projekt in Dortmund und Düsseldorf betreibt. Sie kennen die Probleme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien nur zu gut und die kommen keineswegs mehr nur aus der fleischverarbeitenden Industrie und dem Baugewerbe. „Immer häufiger kommen Anfragen auch aus dem Logistiksektor oder der Reinigungsbranche. Der Bedarf lässt sich schon jetzt kaum abdecken. Wir brauchen Netzwerke zur Unterstützung von Beschäftigten aus Osteuropa und eine breite Beteiligung von Akteurinnen und Akteuren aus allen Teilen der Gesellschaft!“, berichten Zidaru und Guia. Die Veranstaltung im Generalkonsulat, zu der 40 Gäste aus den unterschiedlichsten Organisationen gekommen sind, ist somit ein wichtiger Schritt hin zu dem breiten Bündnis, das so dringend benötigt wird.
In den Workshops nach der Mittagspause wurde es dann ganz konkret. In Rollenspielen wurde anhand von Fallbeispielen für die Situation von Beschäftigten aus Osteuropa sensibilisiert und so der Grundstein für ein besseres Verständnis sowie weiteres Engagement gelegt.