Shell Jugendstudie - Wir brauchen mehr politische Jugendbildung
Die Ergebnisse der Shell Jugendstudie 2024 zeigen, wie sich die Einstellungen und Lebenswelten junger Menschen in Deutschland verändern. Diese Veränderungen sind für die politische Jugendbildung wichtig, da sie auf neue Chancen und Herausforderungen hinweisen, die in der Arbeit mit Jugendlichen berücksichtigt werden sollten.
Die Shell Jugendstudie kommt zum Teil auf überraschende andere Schlussfolgerungen als die Studie von Klaus Hurrelmann aus dem Frühjahr 2024 ("Stimmungstief und Rechtsruck bei Jugend"). Rechtes und rechtsextremes Gedankengut ist laut der Shell Studie nicht so dramatisch gestiegen, wie es die Trendstudie "Jugend in Deutschland" aufgezeigt hat. Doch auch die Shell Studie zeigt auf, dass es vor allem zwischen jungen Männern und jungen Frauen und zwischen Ost und West große Unterschiede gibt.
Politisches Interesse und Engagement auf dem Vormarsch
Ein herausragendes Ergebnis der Studie ist der signifikante Anstieg des politischen Interesses. 55 % der Jugendlichen geben an, sich für Politik zu interessieren, was im Vergleich zu den 34 % im Jahr 2002 eine erhebliche Steigerung darstellt. Dieses gesteigerte Interesse geht Hand in Hand mit einer zunehmenden Bereitschaft, sich aktiv politisch zu engagieren. 37 % der Jugendlichen sind politisch aktiv, ein deutlicher Anstieg gegenüber früheren Jahren. Damit bestätigt die Studie, dass das wachsende Engagement nicht nur ein kurzfristiger Effekt der Fridays-for-Future-Bewegung oder der „Generation Greta“ ist, sondern einen tiefergehenden, anhaltenden Trend widerspiegelt.
Ängste und Sorgen – Krieg und Wirtschaft im Fokus
Die Studie zeigt auch, dass Jugendliche zunehmend von Ängsten geprägt sind, die durch aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Krisen verursacht werden. 81 % der Befragten äußern Angst vor einem Krieg in Europa, und 67 % sorgen sich um die wirtschaftliche Lage und die potenziellen Auswirkungen auf ihre Zukunft. Dies steht im starken Gegensatz zu früheren Jahren, in denen Ängste vor Arbeitslosigkeit oder dem Verlust eines Ausbildungsplatzes im Vordergrund standen – diese Sorgen wurden 2024 nur noch von 35 % der Jugendlichen geäußert.
Klimawandel und gesellschaftlicher Zusammenhalt weiterhin zentral
Der Klimawandel bleibt für die Mehrheit der Jugendlichen ein zentrales Thema: 80 % sind der Überzeugung, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist, und 57 % sind bereit, ihren Lebensstandard zugunsten des Klimaschutzes einzuschränken. Die Sorge um Umweltverschmutzung und den Klimawandel ist zwar etwas geringer als 2019, bleibt aber weiterhin auf einem hohen Niveau. Interessanterweise unterscheiden sich die Ängste nach Bildungsgrad: Jugendliche mit höherer Bildung sorgen sich besonders um den Klimawandel und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, während Jugendliche mit niedrigerer Bildung die wirtschaftlichen Auswirkungen stärker in den Vordergrund stellen.
Gesellschaftliche Toleranz und Diversität
Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis der Studie ist die grundsätzlich hohe Toleranz der Jugendlichen gegenüber anderen Lebensformen und sozialen Gruppen. Der Wunsch nach einer vielfältigen, toleranten Gesellschaft bleibt für die meisten Jugendlichen zentral. Auffällig ist jedoch, dass es insbesondere im Osten Deutschlands größere Vorbehalte gegenüber Migranten gibt. Vor allem syrische Flüchtlingsfamilien werden dort von 28 % der Jugendlichen als problematisch angesehen, während dies im Westen nur 16 % tun. Insgesamt zeigt die Studie jedoch, dass antisemitische und homophobe Einstellungen bei der Mehrheit der Jugendlichen keine große Rolle spielen.
Vertrauen in staatliche Institutionen und die EU
Jugendliche haben ein hohes Vertrauen in die zentralen Institutionen Deutschlands, wie das Bundesverfassungsgericht und die Polizei. Auch das Vertrauen in die Europäische Union hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Bundesregierung und politische Parteien genießen dagegen weniger Vertrauen. Diese Diskrepanz verdeutlicht, dass die Jugendlichen zwar grundsätzlich positiv gegenüber dem Staat eingestellt sind, gleichzeitig aber auch eine gewisse Kritik gegenüber politischen Akteuren haben. Auffällig ist, dass Jugendliche aus dem Osten Deutschlands staatlichen Institutionen insgesamt weniger Vertrauen entgegenbringen als ihre Altersgenossen im Westen.
Zukunftsoptimismus und Bildungsaufstieg
Trotz der vielen Krisen bleiben die Jugendlichen in Deutschland mehrheitlich optimistisch, was ihre persönliche Zukunft betrifft. 84 % sind zuversichtlich, dass sie ihre beruflichen Ziele erreichen werden, und das Vertrauen in einen guten Zugang zum Arbeitsmarkt bleibt hoch. Interessanterweise hat der Optimismus unter Jugendlichen aus sozial schwächeren Schichten in den letzten Jahren zugenommen, während er bei Jugendlichen aus der oberen Mittelschicht leicht zurückgegangen ist. Ein weiteres positives Ergebnis ist die zunehmende Bildungschancengleichheit: Mehr als ein Viertel der Jugendlichen hat einen höheren Bildungsabschluss erreicht als ihre Eltern, was die Bildungsmobilität nach oben bestätigt.
Digitale Medien und politische Information
Digitale Medien spielen eine immer wichtigere Rolle im Leben der Jugendlichen. 95 % nutzen täglich Messenger-Dienste, und 82 % sind auf Social-Media-Plattformen aktiv. Bemerkenswert ist auch, dass sich erstmals die Mehrheit der Jugendlichen aktiv über Politik informiert, wobei Online-Medien eine zentrale Rolle spielen. Soziale Netzwerke und Messenger-Apps sind dabei jedoch weniger vertrauenswürdig als klassische Medien wie ARD, ZDF oder überregionale Tageszeitungen.
Chancen und Herausforderungen für die Zukunft
Die Studie zeigt, dass die Jugendlichen trotz der zahlreichen globalen Krisen eine große innere Stabilität und Pragmatismus bewahren. Sie nehmen ihre Zukunft aktiv in die Hand und suchen nach Wegen, um ihre Chancen in einer sich verändernden Welt zu nutzen. Dabei spielt sowohl der soziale Nahbereich als auch die zunehmende politische Aktivierung eine große Rolle. Besonders wichtig ist es für die Jugendlichen, in einer Gesellschaft zu leben, die ihnen Zukunftsperspektiven bietet und die Herausforderungen der Zeit gemeinsam bewältigt.
Insgesamt zeigt die Shell Jugendstudie 2024, dass junge Menschen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und sich für die Gesellschaft einzusetzen. Die politische Jugendbildung hat die Aufgabe, diese Bereitschaft zu fördern, indem sie Räume schafft, in denen Jugendliche gehört werden und lernen, wie sie ihre Anliegen in der Gesellschaft voranbringen können. Dabei sollte sie die Vielfalt der Lebensrealitäten und politischen Einstellungen der Jugendlichen berücksichtigen und Formate anbieten, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Perspektiven eingehen.
Die nächste Shell-Jugendstudie erscheint 2029.
Über die Shell Jugendstudie:
Wie denkt und fühlt die Jugend von heute? Was möchte sie erreichen? Und wie steht sie zu Politik, Gesellschaft und Religion?
Diese Fragen beantwortet die neue Shell Jugendstudie.
Die Studie untersucht, wie die Generation der 12- bis 25-Jährigen in Deutschland aufwächst. Sie fragt nach der Rolle von Familie und Freunden, Schule und Beruf, Digitalisierung und Freizeit. Sie nimmt in den Blick, inwieweit schwierige bis krisenhafte Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Umwelt die Einstellungen und Weltsichten Jugendlicher beeinflussen. Und sie beobachtet, ob sich die politischen Einstellungen oder die Wertemuster langfristig verändern.
Das Standardwerk der Jugendforschung in Deutschland erscheint seit 1953 und wird alle vier bis fünf Jahre herausgegeben. Die inzwischen 19. Shell Jugendstudie wird vom Forschungsteam Prof. Dr. Mathias Albert, Prof. Dr. Gudrun Quenzel, Prof. Dr. Frederick de Moll und dem demoskopischen Institut Verian verfasst.