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Kenan Kolat: Teilhabe statt Integration

GEMINI-Fachforum „Politische Bildung angefragt: Fit für die Einwanderungsgesellschaft?" beim 14. DJHT in Stuttgart

Intensiv diskutierten rund 50 Teilnehmende beim 14. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (DJHT) in Stuttgart die Fragestellung "Politische Bildung: Fit für die Einwanderungsgesellschaft?". Eingeladen hatte zu dem Fachforum mit Experten aus Wissenschaft, Pädagogik, Verbänden und Verwaltung die Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung im Bundesausschuss Politische Bildung (GEMINI).

Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, stellte zu Beginn dar, welche Begrifflichkeiten für ihn die gesellschaftliche Perspektive der Einwanderungsgesellschaft am besten definieren: „Wir sollten von Teilhabe sprechen, und nicht von Integration." Für ihn gebe es keine homogene Gesellschaft in Deutschland, sondern eine heterogene, in der verschiedene Kulturen in einem demokratischen Miteinander leben wollen. Die Gesellschaft brauche daher nicht nur eine Diskussion über die Verschiedenheit ihrer Kulturen, sondern über die Vielfalt der Menschen und ihrer Lebensentwürfe. Unterschiedliche Lebensformen prägten alle gesellschaftlichen Milieus, egal ob mit oder ohne Migrationsgeschichte. Politik und Zivilgesellschaft stünden vor der Herausforderung, diese Verschiedenheit zu organisieren. Mit Blick auf die Türkische Gemeinde in Deutschland könne er sich die Gründung eines eigenen Bildungswerkes von Migrant/-innen mit einem Angebot für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger vorstellen. Der Integrationsbeauftragte der Stadt Stuttgart, Gari Pavkovic, spitzte die Forderungen von Kenan Kolat zu, indem er für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger gleiche Zugangschancen für alle kommunalen und staatlichen Dienstleistungen forderte. Gleichbehandlung per Deklaration führe aus seiner Sicht zu Diskriminierung, da sich die Akteure so von vornherein nicht mit den unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen zum gesellschaftlichen Leben, ihren Institutionen und der Bildung, auseinandersetzten. Daher sei es nicht überraschend, dass der Satz „Herkunft entscheidet maßgeblich über das Gelingen von Bildung" immer noch seine Gültigkeit habe. Dabei sei weniger der kulturelle Hintergrund maßgeblich, sondern vielmehr das soziale Milieu.

Prof. Dr. Rudolf Leiprecht, Uni Oldenburg, begrüßte das Credo zur Interkulturellen Öffnung als gegenwärtigem gesellschaftlichen Mainstream, betonte aber zugleich, dass sie zwar ein Instrument zur Organisationsentwicklung sein könne, aber den problematischen Begriff der Interkultur nicht auflöse. Der Begriff suggeriere zwei sich gegenüberstehende Kulturen, die homogen seien. Solch eine Auffassung blende die eigene Kultur gerne aus und mache der anderen allgemeingültige Zuschreibungen.

Einblicke in die 15-jährige internationale und interkulturelle Bildungsarbeit gab die Leiterin der Volkshochschule Stuttgart, Dagmar Mikasch-Köthner. Ein neuer konzeptioneller Ansatz der VHS bestehe darin, die interkulturellen Potenziale der eigenen Mitarbeitenden einzubeziehen, da diese oftmals selbst eine eigene Migrationsgeschichte und damit auch Zugang zum eigenen kulturellen Umfeld hätten. Mit diesem Ansatz konnte aus Sicht vom Mikasch-Köthner das interkulturelle Angebot besser an die Bedürfnisse der Zielgruppen angepasst werden. Die Volkshochschule schaffe bewusst Foren der Begegnung: „Denn wir können voneinander und miteinander lernen", resümierte Mikasch-Köthner.

Primäre Aufgabe der politischen Bildung ist für Klaus Waldmann, Koordinator der GEMINI, die Befähigung zur Teilhabe an der Demokratie. Eine demokratische Gesellschaftsform dürfe keine Unterscheidung nach kultureller bzw. ethnischer Herkunft vornehmen, sondern müsse alle Menschen einschließen. „Demokratische Rechte stehen jedem zur Verfügung". Zur Unterstützung dieses Anspruches sei die politische Bildung konzeptionell und bildungspraktisch gut aufgestellt. Eine interkulturelle Öffnung von Einrichtungen politischer Bildung sei wünschenswert, allerdings bei konfessionellen Trägern schwer umsetzbar. Zur Frage aus dem Publikum, ob politische Bildung ‚politischer' werden müsse, merkte Waldmann an: „Die Aufgabe unserer Profession ist es nicht vorrangig, politischer Akteur zu sein, sondern Menschen zur aktiven Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu befähigen." Politische Bildung müsse künftig deutlicher eine Anwaltsfunktion für diejenigen wahrnehmen, die durch strukturelle und kulturelle Mechanismen oder rechtliche Regelungen in ihrer Teilhabe eingeschränkt sind.

Einig war sich das Podium bezüglich der notwendigen Einbeziehung der Zielgruppe der bildungsbenachteiligten Jugendlichen in die politische Bildungsarbeit. Politische Bildung müsse dazu neue und innovative Wege gehen. Gute didaktische Ansätze und Angebote gebe es bereits. Diese Angebote zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen müssten jedoch noch stärker an die Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst werden.

Nach Ansicht aller Podiumsteilnehmenden braucht die politische Bildungsarbeit verlässliche Förderstrukturen. Eine Projektförderung über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren erzeuge nur kurzfristige Effekte, Nachhaltigkeit bezüglich der Zielgruppen und letztendlich einer interkulturellen Öffnung sei damit nicht zu erreichen.

Einen Einblick in die praktische Bildungsarbeit vor Ort gaben Pater Dr. Tobias Specker SJ vom Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen und Olaf Bernau von ARBEIT und LEBEN Bremen mit der Moderatorin Ina Bielenberg vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten. Beide Projektpräsentationen zeigten auf, wie Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung in Schule und Gesellschaft ermöglicht werden können.

Bei dem Seminarangebot des Heinrich Pesch Hauses „Der Streit um die Moschee - eine Religion wird eingebürgert" setzten sich Schüler/-innen im Rahmen eines Planspiels mit den vielfältigen Fragen rund um den Bau einer Moschee auseinander und schlüpften dabei in die verschiedenen Rollen der Mitglieder von Parteien, Verwaltung, Vereinen und Bürgerinitiativen. Auch ein Moscheebesuch stand auf dem Programm. Mit dem Seminarangebot konnte ein Perspektivenwechsel und eine Sensibilisierung für andere Lebenswelten bei den Schüler/-innen bewirkt werden.

Olaf Bernau stellt das Projekt von ARBEIT und LEBEN vor

Olaf Bernau stellt das Projekt von ARBEIT und LEBEN vor

Ziel des ADA Projektes von ARBEIT und LEBEN ist die Errichtung eines Kompetenzzentrums für Bildung, Qualifizierung und Beratung zu Antidiskriminierung in der Arbeitswelt (ADA). Zielgruppe des Projektvorhabens sind von Diskriminierung direkt oder indirekt betroffene Arbeitnehmer/innen und insbesondere junge Menschen mit Migrationshintergrund, die sich im Übergang von der Schule in den Beruf befinden. Hier soll eine gezielte Integration in den Ausbildungs- und /oder Arbeitsmarkt gefördert werden.

Markus Schuck/Lothar Jansen

Bundesarbeitskreis
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