Europabildung muss eigenständige Leitaktion des künftigen europäischen Bildungsprogramms werden
Die Europäische Kommission hat unter dem Titel "Erasmus für alle" den Vorschlag für ein neues EU-Bildungsprogramm veröffentlicht, das ab 2014 die bisherigen EU-Programme für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport ablösen soll.
Das Programm wird sich über den Zeitraum bis 2020 erstrecken und mit einem Gesamtbudget von 19 Mrd. Euro ausgestattet werden.
Gegenüber seinen Vorläufern soll das Programm eine überarbeitete Struktur erhalten, die nur noch drei Leitaktionen enthält:
- Lernmobilität von Einzelpersonen
- Zusammenarbeit zur Förderung von Innovation und bewährten Verfahren
- Unterstützung politischer Reformen
Neben den drei Leitaktionen sollen die Jean-Monnet-Initiative und die Zusammenarbeit im Sportbereich als separate Maßnahmen bestehen bleiben.
Zwei Drittel der Fördermittel sollen dabei der Kategorie „Mobilitätsförderung“ zukommen. Zu den wesentlichen Zielsetzungen des Vorschlags gehört eine Erhöhung der Anzahl der Stipendiaten auf fünf Millionen, was im Vergleich zum Vorgängerprogramm fast eine Verdopplung darstellt. Drei Millionen Lernende könnten dann mit Hilfe der Programmförderung Teile ihrer Hochschul- und Berufsbildung im Ausland absolvieren.
Aus Sicht von Arbeit und Leben ist es folgerichtig, die transnationale Mobilitätsförderung weiter ins Zentrum der europäischen Förderpolitik zu rücken, weil in diesem Förderbereich besonders gut und direkt positive Wirkungen für die Zielgruppen zu erzielen sind. Die Mobilitätsprojekte machen Europa positiv erfahrbar.
Allerdings ist mit der Auflösung der sektoralen Unterprogramme für Träger der fach- und zielgruppenspezifischen Bildungsarbeit eine Verschlechterung der Förderbedingungen zu befürchten. Auch wenn Arbeit und Leben die Absicht befürwortet, die Zusammenarbeit und Durchlässigkeit zwischen unterschiedlichen Bildungssektoren zu fördern, so müssten hierzu entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Etwa in Form verbesserter Fördersätze und längerer Projektlaufzeiten, die einerseits Anreize für eine Kooperation unterschiedlicher Bildungsbereiche bieten, andererseits aber auch die Voraussetzungen schaffen, unterschiedliche Arbeitsweisen und Ansätze abzustimmen und Neuansätze in der Praxis zu erproben und zu verbreiten. Ohne entsprechende Rahmenbedingungen sehen wir die Gefahr, dass Einrichtungen der Hochschul- und Berufsbildung ihres zahlenmäßigen Übergewichts wegen bei der Förderung künftig einseitig bevorzugt werden.
Hier zu trägt die verstärkte Orientierung der europäischen Bildungszusammenarbeit auf Zielsetzungen der Berufs- und Beschäftigungsorientierung bei. Diese Fokussierung ist aufgrund der wirtschaftlichen Situation in vielen EU-Mitgliedsländern und hoher Arbeitslosenzahlen, insbesondere unter Jugendlichen, verständlich. Aber es ist bedenklich, dass zivilgesellschaftlich oder sozial-orientierte Bildungsarbeit nicht mehr als eigenständige Bildungsbereiche mit spezifischem Zielspektrum genannt werden, sondern allenfalls Beiträge zur Sicherung von Berufs- und Beschäftigungsförderung leisten können sollen.
Die aktuelle „Eurokrise“ zeigt jedoch, wie fragil der europäische Einigungsprozess trotz aller erreichten Erfolge noch ist: Längst überwunden geglaubte Vorurteile und wechselseitige Stereotypen werden in den Debatten um die Zukunft Europas laut. Der Anteil derjenigen, die einen Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung des Euro oder gar den Austritt aus der Europäischen Union befürworten, wächst beständig. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, nicht nur sporadisch Projektmittel für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung zu stellen, die ein positives Bild der Europäischen Union vermittelt. Vielmehr gilt es ein beständiges Angebot der Europabildung zu fördern, das es breiten Bevölkerungsschichten ermöglicht, über Begegnung und Austausch gemeinsame Werte und Ziele des geeinten Europa zu diskutieren und mitzugestalten. Es muss darum gehen, Lösungsansätze für gemeinsame Problemlagen nicht mehr nur allein auf staatlicher Ebene in Form von Krisengipfeln zwischen Regierungschefs auszuhandeln, sondern über Austausch- und Begegnungsmaßnahmen mehr Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Altersgruppen Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung des europäischen Einigungsprozesses zu eröffnen.
Daher sollte die Europabildung als Bestandteil der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung als eigenständige Leitaktion des künftigen europäischen Bildungsprogramms genannt und gefördert werden.